*oder: (m)ein kleiner Reiseführer
Hundert Kilometer. Eine große Runde. Sieben Städte. Alte Bahntrassen.
– „das muss man doch mal mitgemacht haben!„
Weder die Courses de Bienne sollten es werden und auch das Liebliche Taubertal konnte das Rennen nicht machen. Nein, für meinen ersten 100km-Lauf hatte ich mir schon seit Ende 2019 eine andere Veranstaltung ausgesucht. So lange musste ich aber nun aus bekannten Gründen auf einen Start warten. Nachdem ich mit den Hemsbacher Lauffreunden bereits im letzten Jahr den Blütenweg mit 95 km und bergigen 2.500 Höhenmetern gelaufen war, zog es mich nun also Anfang Mai 2022 ins Bergische Land. Bergig zwar auch, aber dennoch geht es hier historisch um die Grafen von Berg. Doch deren Geschichte ist eine andere.
In der Vorbereitungszeit auf den WHEW waren knapp 800 km (8.300 Hm) angefallen, darunter einige Marathons und auch eine Tour vom Odenwald bis kurz vor Gelnhausen. Dies alles in ca. 80 Trainingsstunden Das sollte dann aber reichen hoffte ich.
Nachdem bereits am Vortag die Abholung der Startnummer erfolgte, sollte es eine lange und geruhsame Nacht werden. Aber irgendwie fuhr gefühlt jede Schwebebahn direkt durch das Hotelzimmer, außerdem gab es ein kostenloses Konzert mit undefinierbarer Musik direkt zwischen Hotel und Wupper. Na ja, die (sehr) jungen Leute wollen ja auch ihren Spaß haben. Außerdem geht hier mein müder Dank an die Trucker-Innung-Ost-Elberfeld für die Ausrichtung der inoffiziellen Tandem-Zug-Rückwärts-Einpark-Meisterschaften auf Kopfsteinpflaster. Mir schwante jedenfalls böses, als der Wecker viel zu früh klingelte.
Aber es half alles nichts, später aufstehen war keine Option, denn bereits um kurz vor sechs Uhr parkten wir dann knappe 200m vor Start und Ziel und begannen mit der Bestückung des Begleitfahrrades. Auch wenn wir mehrfach mitleidsvolle Blicke von anreisenden Mitläufern (inkl. Radcoach) ernteten, wir standen schon sehr gut 🙂 Nach einem kleinen Frühstück vor Ort gab es noch ein paar nette Unterhaltungen, bevor es dann kurz vor sieben zum Startbogen ging. Und dann ging es wirklich los. 100 km – ab jetzt!



Bedingt durch Streckenänderungen im Vorfeld liefen wir dann zuerst ein kleines Stück in die Gegenrichtung, bei erneutem Durchlauf des Startbereichs durfte dann kurz darauf die Fahrradbegleitung mit einsteigen. Anfangs ging es auf der Nordbahntrasse Richtung südlichstem Punkt der Laufstrecke in Vohwinkel, hier war gleichzeitig auch der 1. VP. Bei der Norbahntrasse handelt es sich um eine umgewidmete innerstädtische Bahnstrecke, die Ende 2014 als Rad- und Fußweg eröffnet wurde. Nach einer großen Runde führt uns der Weg aus der östlichen Richtung über die gleiche Trasse in ein paar Stunden zurück zum Ziel.
Nachdem wir nun relativ schnell die Stadtgrenze von Wuppertal hinter uns gelassen haben, führte der Weg dann nach ein paar Kilometern nach Düssel – aber nicht Dorf. Der Wülfrather Ortsteil bot den Läufern neben dem VP 1,5 auch einen kleinen Blick auf Haus Düssel, eine ehemalige Wasserburg, erstmals urkundlich erwähnt im Jahre 1184. Gegenüber liegt die im frühen 12. Jahrhundert erbaute romanische Pfeilerbasikila der katholischen Kirchengemeinde. Im weiteren Verlauf traf man noch auf eine wunderschöne, nach Fliegerangriffen im 2. Weltkrieg stark beschädigte, danach wieder aufgebaute evangelische Kirche.
Bei Kilometer 16 wechselten wir auf den Panorama-Radweg Niederbergbahn, welcher uns nun erst mal ein Stück bergauf begleiten sollte. Am Zeittunnel Wülfrath befand sich neben VP 2 auch das gleichnamige Museum, in dem sich u.a. ein 160m langer Abbaustollen des Bochumer Bruchs befindet, worin sich die letzten 400 Millionen Jahre Erdgeschichte erleben lassen.
In Velbert war dann auch schon das 1. Viertel geschafft, bei km 26 durfte man sich noch einmal an VP 3 stärken, bevor es gefühlt die nächsten 50 Kilometer nur noch bergab oder flach laufen sollte. Wie man sich aber täuschen kann. Von nun an unter- und überquerten wir auf dem gut ausgebauten Radweg die kleinen und großen Straßen von Velbert und es kam immer öfter vor, dass man von Radfahrern oder Fußgängern auf den Lauf angesprochen wurde. Auch gelegentliches anfeuern entgegenkommender Personen war nun keine Seltenheit mehr und zauberte mir doch desöfteren ein Lächeln ins Gesicht.
Unter anderem überquerten wir die 40 m hohe Saubrücke (offiziell: Eulenbachviadukt). Der Volksmund benannte die Brücke aber nach einem in den 1960er Jahren abgerissenen Hof, der in der Schlucht lag. Dieser trug den Namen In der Sau, wobei dies nicht für das uns bekannte Sus scrofa domesticus steht, sondern für Sumpf.
Bei km 32 kam dann VP 4 in Heiligenhaus, bevor es bald darauf über die erste Waggonbrücke Deutschlands ging. Dafür wurde ein vierachsiger Flachwagen (Model: Rgs-w 672) der Deutschen Bahn inkl. aller technischen Zugehörigkeiten auf Wiederlager gesetzt.
Nachdem wir Kettwig vor der Brücke passiert hatten, überquerten wir erstmals an diesem Tag den Fluss, der uns nun die nächsten 30 Kilometer begleiten sollte. Über die Ruhrbrücke Kettwig ging es flussaufwärts dem Kettwiger Stausee folgend VP 5 und anschließend der Marathonmarke entgegen. Einigen Mitläufern an diesem Tag wird dann die Strecke bei der nächsten TorTour de Ruhr in entgegengesetzter Richtung noch mal begegnen. Ich glaube aber, was nun folgte kann man sich immer ansehen. Es war wunderbar entspannend, diesem Fluss zu folgen, den Blick über Felder und Wiesen schweifen zu lassen, hinter jeder Biegung etwas neues zu entdecken um dann nach erneuter Ruhrquerung bei Kilometer 47 von einem rüstigen End-80er zurechtgestutzt zu werden, dass das hier kein Radweg ist. Den Hinweis, dass mein Coach dabei ist, interessierte ihn nicht wirklich und so suchten wir das Weite. Bestimmt hatten die Radler hinter und noch ihren Spaß…


Und auf einmal war er da. Der Baldeneysee, größter Stausee der Ruhr mit zig Wassersport- und Ausflugsmöglichkeiten. Hoch oben thront die Villa Hügel, das in den 1870er Jahren errichtete Wohnhaus (und wer weiß was noch alles) der Industriellenfamilie Krupp. Aber was viel wichtiger war: es war Halbzeit und 50 km geschafft.


Unweit dem Bahnhof Hespertal, von wo aus mehrmals im Jahr verschiedene Diesel- und Dampf-Museumszüge fahren, war dann der VP 6 eingerichtet. Hier gab es eine etwas längere Pause, bevor der Weg glücklicherweise erst mal unter Bäumen entlang führte. Es wurde nämlich langsam etwas wärmer. Bei Kupferdreh ging es erneut übers Wasser, um dann für die nächsten paar Kilometer parallel der Ausläufer der A44 zu laufen.
Livemusik gab es am VP 7, ehe Kilometer 62 den nördlichsten Punkt der Strecke markierte und wir letztmals die Ruhrseite wechselten. Auf dem folgenden Teil der Ruhr begegneten uns immer wieder Ausflügler, die mit Kanus oder Rafts unterwegs waren und auch über die Bootsrutsche der Schleuse Horst die 3m Höhenunterschied überwanden. Apropos Höhe, da sollte ja noch was kommen. Aber zuerst ging es noch etwas weiter parallel der großen Felder, die der Trinkwassergewinnung und -versorgung der Städte Essen, Bochung usw. dient.
68 Kilometer auf der Uhr und noch 32 zu laufen, das war der VP 8 an der Schwimmbrücke Dahlhausen. Die Pontonbrücke hat die Finesse, dass der zur Hattinger Gemarkung gehörende südwestliche Teil sich bei Bedarf ausgeschwenkt werden kann, damit Schiffe in die befindliche Schleuse einfahren können. Interessant ist auch die Ampelregelung für den Kreuzungsbereich Straße und Rad-/Fußweg. Es hielten sich aber alle an die Rot-Phase, denn sogar ein Blitzer befindet sich im Brückenbereich 🙂


Wenig später überquerten wir die Stadtgrenze Essen zu Hattingen und bei Kilometer 73 verabschiedeten wir uns endgültig von der Ruhr. Kurz darauf lag der VP 9 mit der 3. Zeitnahme an diesem Tag. Hier wurde noch einmal ordentlich gestärkt für die nächsten 15 Kilometer, die über die Kohlenbahn (auch: Glückauf-Trasse) stetig bergauf führen sollten.
Nach ein paar sehr engagiert anfeuernden Zuschauern kurz vor Sprockhövel war es dann so weit. Nur noch 19 Kilometer ab VP 10. Freundlich und hilfsbereit wurden wir auf die Streckenänderung inkl. extra Höhenmeter hingewiesen, die durch Bauarbeiten im weiteren Verlauf der Trasse notwendig wurde. Also ging es eine kleine Runde durch das Wohngebiet, aber auch hier wurde den tapferen Läufern Respekt gezollt.
Bei erneutem Einstieg in die Nordbahntrasse eröffnete sich bald darauf der VP 11, an welchem es noch mal schee lustig zuging. Sollte es einer von euch lesen, ja es stimmt. Man muss ja wirklich die letzten Kilometer so was von Tempo drosseln, so steil geht es bergab 😉 Ab dem Tunnel Schee, in dem sich auch die Stadtgrenze zu Wuppertal befindet, rennt man fast von alleine. Der Tunnel übrigens besteht aus zwei 720m lange Röhren, von denen die Westliche heute im Rahmen des Bahntrassenradwegs genutzt wird. Die Östliche wurde kurzzeitig im 2. Weltkrieg im Rahmen der Untertage-Verlagerung genutzt, um Teile der Messerschmitt Me 262 zu montieren.
Als noch 10 Kilometer vor uns lagen überquerten wir die Brücke Bracken. Diese war das letzte, 31m lange, Puzzlestück, was zur Vollendung des Nordbahntrassen-Projekts noch fehlte. Sie ist eine Fachwerkkonstruktion, bei der die Farben rot (Druck) und blau (Zug) die Belastung der Brücke veranschaulichen sollen. Weitere Beispiele für sichtbare Fachwerkkonstruktionen sind z.B. der Eiffelturm in Paris oder das Gerüst der Wuppertaler Schwebebahn.
Kurz vor VP 12 ging es dann noch durch die Schlucht Bramdelle und wir wurden schön auf die letzten Kilometer eingestimmt. Auf den verbleibenden 5 Kilometer sollte es hoch oben über die Stadt gehen und in der Tat hatte man schon ab dem Wichlinghauser Viadukt in alle Himmelsrichtungen etwas zu beobachten. Im weiteren Verlauf folgten noch das Bartholomäus Viadukt, das Westkotter Viadukt und das Kuhler Viadukt. Kleinere Tunnel wurden durchlaufen, bevor dann der Draisinenbahnhof Loh passiert wurde. Hier kann man 1,6 Kilometer ehemalige Gleise der Rheinischen Eisenbahn erleben und befahren.
Nun folgte der letzte Fotostopp am km 99-Schild und mit der Überquerung der Lego-Brücke, bei welcher die Unterseite im Lego-Design gestaltet wurde, wechselten wir zum letzten Mal in den Engelnberg-Tunnel, der von der Einführungsschleife schon bekannt war. 171m mit Dach über dem Kopf laufen und dann ging es – tatsächlich raus in den Regen. Auf den letzten 500m schüttete es, aber wir waren dennoch froh, entgegen vieler Mitläufer den ganzen Tag über trocken geblieben zu sein.
Noch schnell einen Blick auf das Auto geworfen, welches unweit der ehemaligen Bandweberei und Zwirnerei Hebebrand geparkt war. Ein imposanter alter Fabrikbau, der mit unterschiedlich farbigen Ziegelsteinen und gotisierenden Schmuckelementen verziert ist. So ist auch dieses Gebäude ein Teil der industriellen Geschichte der Region und bevor es auf den letzten Metern dem Ziel entgegen ging waren wir uns beide einig, dass sowohl landschaftlich, als auch kulturell die Stadt und das Umland einiges zu bieten haben.
Im Ziel stand tapfer eine junge Dame im Regen und überreichte uns die Medaillen, dazu gab es Beifall der unter Schirmen im Cafe am Mirker Bahnhof sitzenden Gäste. Es war der leicht nasse, aber wunderschöne Abschluss eines tollen Laufes.
Vielen Dank zuerst an meine Radbegleitung, die trotz kleinem Malheur an der Halbmarathonmarke das Ding tapfer durchgestanden hat. Dann natürlich an Guido Gallenkamp und die vielen unzähligen Helfer vor Ort, an und auf der Strecke und im Hintergrund. Ihr habt die große Runde zu einem tollen Erlebnis werden lassen. Ich mag diese Läufe, wo man sich von Anfang an daheim fühlt. Lieben Dank. Und natürlich auch die vielen Mitläufer in der Vorbereitung. Ganz große Verneigung auch vor meinen beiden Beinen („rechtes Bein, linkes Bein, repeat“) und an meinen Kopf, der außer genießen tatsächlich nicht viel zu tun hatte.
Und natürlich gab es für den Lauftag auch ein Endergebnis. Beim Lauf belegte ich mit einer Zeit von 10:54:35 den 16. Platz und in der AK 40 wurde es der 4. Rang. Damit bin ich sehr zufrieden. Und da ich es nicht kategorisch ausschließen möchte – vielleicht heißt es schon bald wieder:
WUPPERTALWÜ
LFRATHVELBER
THEILIGENHAU
SESSENHATTIN
GENSPROCKHÖ
VELWUPPERTAL
– kurz: WHEW100




